Das Labyrinth zählt zu den ältesten Symbolen der Menschheit. Die Funde von in Stein geritzten Abbildungen sind vor allem aus dem Mittelmeerraum bekannt und weisen ein Alter von mehreren tausend Jahren auf. Insbesondere die minoische Kultur auf Kreta wird mit dem Labyrinth in Verbindung gebracht (vgl. den griechischen Mythos vom Minotaurus). Bei den Minoern, die in matriarchalen Gesellschaftsformen verwurzelt waren, war die Verehrung von Muttergottheiten stark ausgeprägt. Insbesondere huldigten sie den Göttinnen der Natur und des Meeres, die das Leben auf der Insel vorrangig bestimmten.
Das klassische Labyrinth, das anatomische Ähnlichkeiten mit einer Gebärmutter besitzt, ist eng mit der Erdgöttin verknüpft, aus deren geheimnisvollem Schoß alle Erscheinungsformen der Natur und alles Leben hervorgehen. Es zeichnet die Wanderungen der Seele nach und markiert ihren Übergang von einer Welt in die nächste. So sind Labyrinth-Darstellungen häufig an Höhlen und Grabstätten, den Toren zur unterirdischen Welt, zu finden.
Darüber hinaus drückt sich im windenden Pfad des Labyrinths das Wogen des Meeres und der mit ihm verbundene fortwährende Wandel des Mondes aus. Minos, der Name des ersten Königs von Kreta, bedeutet „Geschöpf des Mondes“, und sein heiliges Tier, der weiße Stier, soll dem Meer entsprungen sein.
Im Labyrinth sind mehrere Symbole vereint, die die Eigenschaften der Erd- und Mondgöttin verbildlichen:
der Kreis als Sinnbild für den ewigen Kreislauf des Lebens (die Jahreszeiten)
die Spirale als Sinnbild für den Atem des Lebens (die Mondphasen, Aufnehmen und Abgeben, Aufbau und Zersetzung)
die Welle als Sinnbild für des Puls des Lebens (Tag und Nacht, Wachen und Schlafen)
Im Labyrinth spiegelt sich das Mysterium des Lebens mit seinen verworrenen Wegen und plötzlichen Wendungen wider. Wer sich darauf einlässt, es zu begehen, der tritt den Weg in die eigene Mitte an, der erfährt sich selbst und erkennt Schritt für Schritt den Sinn seines Daseins.